Memorandum des Trainers

In der Zeit zwischen den Jahren 2009-2010 haben sich meine Ansichten über Kampfkünste (KK) und insbesondere über Aikido einem starken Wandel unterzogen.

 

Nach über 30 Jahren Kampfsport (davon 20 Jahre Aikido) dachte ich nicht mehr nur über die praktische Wirksamkeit und die philosophischen (geistigen) Aspekte des Aikidos nach, sondern auch darüber, was mich in der Zukunft erwartet.

 

Aikido ist der Weg der Harmonie mit Ki (ursprüngliche Energie des Seins) des Universums, der Weg der Interaktion, die Möglichkeit der gewaltfreien Lösung des Konflikts. Aber was lernen wir eigentlich Tag für Tag und Jahr für Jahr in unseren Ausbildungen, und in welchem Umfang entspricht dies der Idee des Aiki?

 

Wieso sollte man in der heutigen Zeit noch so komplexe Formen des unbewaffneten Kampfes aus der fernen Vergangenheit erlernen?

 

Was ist die geistige und praktische Bedeutung einer solchen Beschäftigung in unserer Zeit? Diese und andere Fragen stellten sich mir Tag für Tag und Jahr für Jahr und gaben mir keine Ruhe.

 

Heute, genauso wie in der Vergangenheit, nutzen viele Menschen in verschiedenen Ländern Gewalt zur Lösung jeglicher Art von Problemen. In der Regel liegt die Ursache von Gewalt und Aggression in einem Minderwertigkeitskomplex, das ändert aber für die potentiellen Opfer nichts. Wenn die Aggression nicht rechtzeitig und nicht effektiv unterdrückt wird, wird der Aggressor im Vertrauen auf seine Macht und Arroganz weiterhin Verbrechen begehen.

 

Seit alten Zeiten gibt es zwei Arten von Kriegern:

 

Entweder ist ein Krieger Schurke und Tyrann, der fremde Länder erobert und den Menschen Zerstörung und Tod bringt, oder der Krieger ist Verteidiger der Heimat, der gegen Gewalt und Aggressionen kämpft. Der Schatrij-Krieger, der das Leben schützt und zu diesem Zweck die Waffe in die Hand nimmt und die Kampfkünste studiert, ist das Subjekt unserer Aufmerksamkeit.

 

Meister Morihei Ueshiba, der Gründer des Aikido, spricht über den Schutz des Lebens als den wichtigsten Aspekt der Kampfkunst. In seinem schöpferischen Erbe finden Sie Antworten auf fast alle Fragen, die den Geist und die Philosophie des Aikido betreffen.

 

Nach dem Lesen der Äußerungen und Aufzeichnung von O-Sensei habe ich versucht, im Training das Gelesene in konkrete Aktionen umzusetzen. Jedes Mal hatte ich das Gefühl, etwas sehr Wichtiges von dem übersehen zu haben, was der Meister seinen Anhängern überbringen wollte.

 

Schon früher, kurz nachdem ich mit Aikido begonnen hatte, erkannte ich, dass Kampfkunst-Training ohne spirituelle Praxis einseitig und minderwertig in seinen praktischen Ergebnissen ist. Das führte dazu, dass ich angefangen habe, Za-Zen zu praktizieren, was ich begeistert bis zum heutigen Tag mache. Ich kam zur Erkenntnis, dass die Zen Praxis und die Praxis des Aikido sich ausgezeichnet ergänzen.

 

Obwohl ich immer mit Ernst und Sorgfalt an der Erarbeitung meiner Techniken des Aikido arbeitete, erkannte ich, dass alle meine Zweifel und Rückschläge nicht durch technische Fehler entstanden, sondern, dass das Problem ein ganz anderes ist. Nämlich die Abwesenheit des Geists Aiki. Mir war klar, dass sich ohne die Lösung dieses Problems nichts ändern würde.

 

Koichi Tohei, der Gründer des Ki-Aikido, schrieb, dass der Mangel an Verständnis von der Natur des Ki der Grund für die Entstehung von Aikido war. Die Grundsätze der inneren Energie wurden in den Mittelpunkt gestellt und ernsthaft während des Trainings untersucht.

 

Für mich aber schien das Hauptproblem die Abwesenheit des Aspekts Ai zu sein. Ai bedeutet Harmonie oder Interaktion. Beim Erarbeiten von Techniken stießen wir immer auf das Problem von übermäßiger Härte und der Notwendigkeit, Gewalt anzuwenden, insbesondere dann, wenn wir mit einem physisch starken und großen Partner arbeiteten.

 

Der praktischen Umsetzung des Prinzips Ai - Interaktion stand etwas im Wege und das Unverständnis von der Ursache dieses Hindernisses führte zu einer Sackgasse für das Studium des Aikido als ganzheitlichem und praktisch funktionierendem System.

 

Bei meinen Beobachtungen des Trainings anderer Aikido Gruppen und Seminare habe ich die Überzeugung gewonnen, dass sich die Mehrheit derer entweder mit Scharlatanerie beschäftigt oder extrem harte, am Rande der Brutalität befindliche Techniken praktiziert. Beides hatte meiner Meinung nach nichts mit Aikido zu tun. Alle meine Versuche, diese Probleme mit meinen Kollegen zu diskutieren und eine Lösung zu finden, stießen bei meinen Kollegen auf Unverständnis.

 

Zur gleichen Zeit schaute ich mir viele Videos zu diesem Thema an und bemerkte, dass einige wenige Meister anderer Kampfkünste, wie die des Karate, Ju-Jitsu, Aiki-Jutsu und Aikido, dieses Problem erfolgreich gelöst hatten. Ich begann, bewusst dieses Material zu sammeln und verzichtete auf Material, wobei die Meister der verschiedenen Kampfkünste:

 

 •          mit schmerzhaften Techniken arbeiten

           selbst große und physisch starke Menschen waren

           die Technik nur in Form von Kata, ohne freie Arbeit demonstrieren

           Technik ohne irgendwelche Erklärungen demonstrieren

 

Als Resultat blieben in meiner Liste nur wenige Meister übrig: Der Franzose Jaques Payet, einige Japaner, von denen viele Aiki-Jitsu praktizieren, aber auch Aikido. Zunächst machte mich die Leichtigkeit und Ungezwungenheit, mit der sie ihre Techniken demonstrierten, stutzig, und ich fragte mich, ob sie vielleicht eine gut eingeübte Choreographie aufführten, wie etwa in einem Film mit Jackie Chan.

 

Diese Meister, größtenteils ältere oder alte Leute mit kleiner Statur und subtilem Körperbau, wirken vollständig entspannt, während sie große und starke Männer auf die Matten werfen, die offensichtlich keine Anfänger in Kampfkünsten sind.

 

Ich schaute mir die Videos immer und immer wieder, manchmal stundenlang an und versuchte zu verstehen, was genau dort geschieht, bis mir endlich klar wurde, was dort vor sich geht. Als erstes erkannte ich, dass es sich um keine Aufführung oder Inszenierung handelt. Ich wurde darauf aufmerksam, wie genau und mit welchem Timing die Meister auch auf einen schnellen, rasanten Angriff reagieren und mit welcher Leichtigkeit sie den Angreifer aus dem Gleichgewicht bringen  oder zu Boden werfen.

 

Die wichtigste Bestätigung für die Authentizität des Geschehens waren nicht die Aktionen des Meisters selbst. In allen Fällen waren sie unkompliziert, natürlich und ohne auffällige Pseudoeffekte. Am meisten überraschte mich die Reaktion des Uke, die immer gleich aussah, wenn der Meister die Techniken durchführte.

 

Noch vor einem Augenblick versuchte ein junger, starker Kerl einen alten Mann zu attackieren, und schon wurde sein Angriff ohne jegliche Mühe abgefangen, und er wurde entweder geworfen oder folgte dem Meister wie an einer Leine, ohne die Möglichkeit zu haben, die Aktion zu stoppen oder Widerstand zu leisten.

 

Ich schaute noch aufmerksamer und genauer hin und suchte nach bewussten und unbewussten Reaktionen (diese sind unmöglich darzustellen) des Uke. Ich bemerkte, dass Uke weder die Chance noch das Verlangen hat, sich zu wehren, und sich wie ein Schlafwandler verhält, der ganz oder teilweise die Kontrolle verloren hat.

 

Es war offensichtlich, dass der Meister im Moment des Kontakts oder sogar kurz davor den Widerstandsmechanismus des Angreifers ausschaltet. Aber wie? Welche Kraft wirkt auf Uke, und ist es möglich, diese Technik selbst zu erlernen, ohne die langjährige Ausbildung bei einem japanischen Mentor, der die entsprechende Technik beherrscht?

 

Die letzte Frage ist sehr wichtig. Wie ich bereits geschrieben habe, sind alle Meister auf meiner Liste Japaner und der Franzose Jacques Payet, der viele Jahre in Japan gelernt hat. Die Antwort liegt in der Zen Praxis. Ich selbst konnte durch eigene Anstrengungen, durch Ausreizen aller spirituellen, mentalen und physischen Stärken und hartes und ständiges Training das Problem lösen.

 

Wer nicht selbst mit solchen Problemen und der Suche nach der Antwort darauf konfrontiert war, für den ist es schwer vorstellbar, was es bedeutet, 7 Jahre lang nach einer Lösung zu suchen und nur wenige Ergebnisse zu erhalten. Nur derjenige, der in einer ähnlichen Situation war, kann sich vorstellen, wie es ist, wenn auf einmal, fast wie aus dem Nichts, die Lösung auftaucht. Ich habe es erlebt, und deshalb bedauere ich nicht eine Sekunde meiner fast 40 Jährigen Praxis im Kampfsport. Diese Jahre waren nicht verschwendet, und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass sie eine ähnliche Erfahrung erleben.